etailment-Expertenrat: E-Food: Vier Modelle im Vergleich (2024)

Der Onlinehandel boomt. Kein Lebensmittelhändler kann es sich leisten, Lebensmittel nicht online anzubieten, und doch sind nur sehr wenige in der Lage dies gewinnbringend zu tun. Niedrige Margen - in Deutschland zwischen zwei und fünf Prozent - treffen hier auf hohe Kosten. Etailment zeigt, welche E-Commerce-Modelle weltweit bereits profitabel sind.

Bedingt durch Covid-19 stieg der Umsatz von online bestellten Lebensmitteln allein in Deutschland laut Bevh (Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland) um 101 %. Noch höher war die Nachfrage, auf die viele Lebensmittelhändler nicht vorbereitet waren.

Der Online-Supermarkt Picnic hatte zwischenzeitlich mehr als 80.000 Neukunden auf der Warteliste, die nicht bedient werden konnten. Bei anderen waren lange Lieferzeiten und Engpässe im Sortiment die Folge.

In England hingegen, wo der Markt und die Automatisierung des Onlinegeschäfts schon ausgereifter sind, konnte ein Lebensmittelhändler wie Ocado während der Pandemie einen Umsatzanstieg von 42 % verzeichnen.

Über den Autor

Thomas Täuber ist Geschäftsführer bei der Managementberatung Accenture Deutschland GmbH. Er verantwortet die Bereiche Handel und Konsumgüter in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Russland. Täuber ist Mit-Herausgeber und Mit-Autor des Fachbuch-Bestsellers „Handel mit Mehrwert". Täuber schreibt regelmäßig für den "Etailment Expertenrat".

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© Accenture

Händler setzen deshalb auf den Onlinehandel, um am derzeit wachsenden Markt zu partizipieren, Kunden enger an sich zu binden und um die Größenvorteile zu generieren, die die hohen Anfangsinvestitionen rechtfertigen und für eine nachhaltige Geschäftsentwicklung erforderlich sind.

Um den Onlinehandel von Lebensmitteln aufzubauen und profitabel zu gestalten, spielen Kundenerwartungen, Kundenwert und operative Exzellenz eine entscheidende Rolle. Welche E-Commerce-Modelle sehen wir aktuell - auch in anderen Ländern - und welche sind bereits profitabel?

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© Walmart Inc.

Die große Filialanzahl ist die Basis von Walmarts Onlinestrategie, an einer für den E-Commerce optimierten Lagerinfrastruktur arbeitet der Händler mit Hochdruck.

1. Walmart: das store-basierte Omnichannel-Modell

Die Online-Strategie von Walmart zeichnet sich vor allem durch den starken Omnichannel-Fokus aus, der vom CEO Doug McMillon als Schlüssel zum Erfolg - vor allem Amazon gegenüber - bezeichnet wird.

Bis Ende 2019 hatte sich Walmart zum Ziel gesetzt, für die Hälfte aller amerikanischen Haushalte verfügbar zu sein. Im ersten Quartal 2020 verzeichnete Walmart vier Mal mehr Kunden, die Click & Collect erstmalig nutzten.

Walmart ist es vor allem wichtig, die Preise so niedrig wie möglich zu halten. Kunden können bei Onlinebestellungen zwischen Lieferung, Abholung auf dem Parkplatz oder Abholung im Markt auswählen, wobei die Lieferung derzeit noch 20 % weniger als bei Amazon kostet. Die Online-Bestellungen werden aus den Supermärkten selbst abgewickelt, und dieses Jahr sind alleine 2.400 Filialen für die Abwicklung von Onlinebestellungen dazugekommen.

Roboter bringen die Artikel zur Pickstation

Bisher weist Walmart allerdings sinkende Nettogewinnmargen mit zunehmendem Anstieg der Onlineverkäufe vor. Trotz der vielen physischen Standorte fehlt es dem Unternehmen noch an einer E-Commerce-optimierten Lagerinfrastruktur, die Amazon vorweist, um profitabel zu sein.

Walmart investiert daher massiv in die Automatisierung der Bestellabwicklung mit Alphabot, ein automatisiertes Lager mit Roboterwägen, die die Produkte zu den Mitarbeitern an die Pickstation bringen. Diese packen und liefern die Bestellungen dann direkt zum Kunden auf den Parkplatz.

Eine ähnliche Omnichannel-Strategie verfolgt Rewe, der einzige große Lebensmittelhändler in Deutschland, der das Onlinegeschäft seit 2011 vorantreibt. Rewe plant ihrerseits bis 2025 eine Milliarde Euro Investitionen in neue automatisierte Logistikzentren.

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© Amazon

Amazon-Fresh-Lager: Bisher wird Amazons E-Food-Geschäft quersubventioniert.

Amazon: das Onlinemodell - mit Stores

Amazon als Online-Marktplatz zeichnet sich vor allem durch schnelle Lieferung und den hohen Kundenwert aus, den es durch das Angebot von verschiedenen Services und treuen Prime-Mitgliedern generiert.

In Deutschland ist Amazon Fresh bisher nur in vier Städten (Hamburg, München, Berlin und Potsdam) exklusiv für Prime-Mitglieder und im Gegensatz zu den USA mit einer geringeren Produktauswahl verfügbar. Neben den Prime-Abo-Gebühren müssen Kunden noch extra Fresh-Abo- oder -Liefergebühren zahlen, um den Service nutzen zu können.

Datenkompetenz und Kundenwissen sind Amazons Stärken

Durch die Mitgliedschaften werden Kunden gebunden und Daten gesammelt, die Amazon eine kontinuierliche Produktentwicklung und den Aufbau neuer Services auf Basis von Kunden-Insights ermöglichen. Diese werden auch dazu beitragen, dass Amazon die richtigen Standorte für mögliche stationäre Lebensmittelgeschäfte, die es bisher nur in den USA gibt, identifiziert.

Etailment-Expertenrat

In unserem Gastautoren-Club "Etailment Expertenrat" schreiben von der Redaktion ausgewählte Autoren im Wechsel über den digitalen Handel von heute und morgen.

Die kompetenten Kolumnisten aus Handel, Industrie, Wissenschaft und Agenturwelt liefern Denkanstöße, Strategien, Trends und Tipps zu Themen wie Marketing, Sales, Digitalisierung, Management, Logistik und anderen Problemfeldern des Handels.

Sie geben damit branchenübergreifende Impulse für die unternehmerische Zukunft. Alle Kolumnen finden Sie jederzeit gesammelt unter"Etailment Expertenrat".

Neben der Whole-Foods-Akquisition hat Amazon bereits eigene stationäre Konzepte wie Amazon Go aufgebaut. Amazon wird weiterhin die Datenkompetenz und das Kundenwissen nutzen, um das Wachstum des Lebensmittelgeschäftes durch Cross- und Upselling voranzutreiben, denn bisher wird das Lebensmittelgeschäft online mit anderen Kategorien quersubventioniert.

Eine aggressive Kundenakquise in Kombination mit der Nutzung von Prime, ein optimiertes kundenzentriertes Lebensmittelangebot, skalierte Logistik und strategisch gelegene stationäre Geschäfte sind hier die Erfolgsfaktoren.

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© Etailment

Elektro-Laster von Picnic: Mit seinem Routenmodell erzielt das Unternehmen strukturelle Kostenvorteile.

Picnic: das "Milchmann"-Modell

Der Online-Only-Supermarkt Picnic ist für sein persönliches Kundenerlebnis und seine regelmäßigen Lieferrouten bekannt. Durch die Verwendung eines regulären "Milchmann"-Modells anstelle eines On-demand-"Taximodells" erzielt das Unternehmen strukturelle Kostenvorteile.

Dadurch schafft Picnic dreimal mehr Auslieferungen in der Stunde und spart ein Drittel der operativen Kosten für die Zustellung auf der letzten Meile. Für den Kunden bedeutet dies eine kostenlose Lieferung bei einem geringeren Mindestbestellwert und Preise für den Massenmarkt.


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Wartelisten spiegeln die Nachfrage auf neuen Routen

Sobald sich genügend Kunden auf der Warteliste zur Nutzung des Services registriert haben, werden neue Routen hinzugefügt. Die langen Wartelisten geben Picnic einen guten Überblick über die Nachfrage, die sie von einer neuen Route erwarten können, und sichern damit ihre Rentabilität im Vorfeld des Aufbaus neuer Logistikzentren und -hubs ab.

Picnic hat einen Algorithmus, der lernt, wie lange die Fahrzeit zwischen den Kunden ist und wie lange es dauert, die Lebensmittel vom Lieferwagen bis zu Haustür zu bringen. Das Modell der intelligenten Routen macht die Planung effizienter und das Lieferfenster für die Kunden präziser.

Picnic verzeichnet bereits schwarze Zahlen aus dem operativen Betrieb und wird weiterhin an seiner Strategie festhalten, um durch den Aufbau neuer Standorte weiter zu expandieren. Zusätzlich wird Picnic in hoch automatisierte Fulfillment-Zentren investieren - wie in Utrecht bereits geplant - um die Effizienz zu steigern.

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© Nuro

In den USA testet Kroger die E-Food-Auslieferung mit autonomen Transportern.

Kroger: das Omnichannel- und Nutzung-der-"Plattform-as-a-Service"-Modell

Die große US-amerikanische Supermarktkette Kroger nutzt neben ihren eigenen Omnichannel-Services und -Operations, die immer weiter mit Partnern wie Ocado automatisiert werden, auch Instacart. Instacart bietet eine Plattform für Lebensmitteleinzelhändler, die entweder kein eigenes Onlinegeschäft haben oder, wie bei Kroger, ihren Service mit der Integration von Instacart erweitern wollen.

Für Kunden ist das Modell sehr komfortabel, da sie über Instacart bei mehreren Händlern bestellen und ihre Lieferung in weniger als einer Stunde erhalten können. Für Einzelhändler gibt es jedoch kostspielige Risiken, die mit der Auslagerung des digitalen Angebots verbunden sind.

Instacart kostet Marge

Wenn Kunden über Instacart eine Bestellung bei Kroger von 100 Dollar aufgeben, zahlt Kroger in der Regel eine geschätzte Bearbeitungsgebühr von 6 % an Instacart. Eine solche Bestellung würde Kroger ohne Instacart auf der Grundlage seiner Preise normalerweise etwa drei Dollar Gewinn einbringen. Nach Berücksichtigung der Margen bedeutet eine Bestellung über Instacart einen Verlust von drei Dollar für Kroger.

Die Nutzung von Partnern bedeutet außerdem die Übergabe des Schlüssels zum wertvollsten Gut - Kundendaten und Kundenkontakt. Lebensmittelhändler sollten daher Lösungen wie Instacart nur als kurzfristige Einstiegslösung betrachten und zum nächstmöglichen Zeitpunkt lieber einen eigenen Service aufbauen.

Verschiedene Wege zu Profitabilität

Auch wenn die vier Modelle sehr unterschiedlich sind, so sind differenzierende Serviceangebote, Nachfrage und Kundenwert und skalierbare operative Exzellenz die Kernthemen, die darüber entscheiden, ob ein Lebensmittel-Onlinegeschäft nachhaltig profitabel aufgebaut werden kann.

Alle aktuellen Studien deuten darauf hin, dass die Nachfrage für den Lebensmittel-Onlinehandel weiter steigt. Um sich Marktanteile zu sichern, müssen deutsche Lebensmittelhändler ein differenziertes Omnichannel-Angebot definieren. Hierzu ist ein 360-Grad-Kundenverständnis über die komplette Customer Journey hinweg elementar.

Wichtig ist zudem von Anfang an in operative Exzellenz zu investieren, die auf Intelligenz durch KI, Automatisierung der Lager und Innovation in der letzten Meile setzt - auch wenn dies hohe Anfangsinvestitionen mit sich bringt.

Noch zu wenige Lebensmitteleinzelhändler haben ihr Geschäftsmodell auf die genannten Kernerfolgsfaktoren ausgerichtet, haben Skaleneffekte erreicht und sind profitabel. In Zukunft sind daher viele Innovationen und Partnerschaften in den Bereichen AI, Automatisierung und letzte Meile zu erwarten.

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